Bürgerrat – er berät Politik und Verwaltung bei strittigen Themen. Bürgerräte sind bundesweit im Kommen: Auch in Gütersloh wird gerade ein Bürgerrat eingeführt. Thorsten Sterk vom Verein Mehr Demokratie e. V. erläutert Hintergründe zu diesem Instrument der demokratischen Willensbildung.
Die gewählten politischen Vertreter/innen vertreten doch eigentlich die Interessen ihrer Wähler/innen. Wozu brauchen wir noch einen Bürgerrat?
Sterk: Je höher die politische Ebene, desto mehr steigt der Anteil an Abgeordneten mit akademischem Hintergrund. Dabei machen sie insgesamt nur 18 % der Gesamtbevölkerung aus. Doch auch in den meisten Gemeinderäten sind bestimmte Gruppierungen unterrepräsentiert. Ein Bürgerrat zeichnet sich durch hohe Diversität aus.
Können Sie dafür Beispiele nennen?
Sterk: Ja, zum Beispiel junge Leute, Personen mit Migrationshintergrund und Menschen mit niedrigem Bildungsgrad. Es gibt sie, doch nur vereinzelt. Für die Zusammensetzung eines Bürgerrats sind die soziodemografischen Daten seines Bestimmungsortes oder -feldes ausschlaggebend.
Die Leute werden doch ausgelost. Wie passt das dann zu dieser vorgegebenen Zusammensetzung?
Sterk: Es handelt sich um ein mehrstufiges Losverfahren. Die Verwaltung kümmert sich unter Einbeziehung eines darauf spezialisierten Unternehmens darum. Zunächst erfolgt die Entscheidung, wie sich der Bürgerrat prozentual zusammensetzen soll. Dann werden entsprechende Personen ausgelost.
Und was ist, wenn jemand nicht mitmachen möchte?
Sterk: Die Teilnahme ist natürlich freiwillig. Auf 500 Einladungen gibt es einen Rücklauf von 5 %, also Zusagen. Es werden so viele Menschen eingeladen, dass es ganz sicher genügend Bewerbungen für eine Teilnahme gibt. Ein Richtwert: Bei einer Gemeinde mit 20.000 Einwohnern wäre ein Bürgerrat von 25 Personen ausreichend.
Welche Bedingungen müssen zum Beispiel in einer Gemeinde für die Einberufung eines Bürgerrats erfüllt sein?
Sterk: Die Voraussetzung ist der politische Wille. Politik und Verwaltung sollten sich einig sein. Natürlich sind auch bestimmte Ressourcen nötig. Die Kosten hängen davon ab, ob es sich um eine punktuelle Einberufung handelt oder um eine dauerhafte Einrichtung des Bürgerrats.
Wie genau arbeitet denn ein Bürgerrat ?
Sterk: Das Gremium trifft sich am besten nach Feierabend oder am Wochenende, damit auch alle Teilnehmenden Zeit haben. Zu der Sitzung werden Experten eingeladen, die zunächst über Aspekte des Bürgerrat-Themas informieren. Anschließend erfolgt eine Diskussion mit Meinungsbildung. Die Moderation kümmert sich darum, dass alle zu Wort kommen.
Welche Vorbehalte gibt es gegen einen Bürgerrat ?
Sterk: Den meisten Widerspruch gibt es auf Basis von Missverständnissen. Manche Ratsmitglieder betrachten einen Bürgerrat als „Schattenparlament“, das noch dazu aus zufällig gelosten Personen besteht. Dabei treffen sie als gewählte Vertreter nach wie vor die Entscheidungen. Der Bürgerrat spricht lediglich Empfehlungen aus und spiegelt einen Querschnitt der Bevölkerungsmeinung. So können im Vorfeld etwa großer Projekte mögliche Konflikte benannt und im besten Fall aus dem Weg geräumt werden.